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Von 1982 bis 1987 habe ich für die Phosphatgrube von Abu Tartur gearbeitet. Sie liegt in der libyschen Wüste Ägyptens zwischen den Oasen Kharga und Dakhla. Das Klima ist hyperarid und eine natürliche Vegetation ist praktisch inexistent. Dass dieses nicht immer so gewesen ist, belegen die häufigen und teilweise auch bedeutenden Relikte aus der Vor- und Frühgeschichte der Menschheit, die ich in der Umgebung des Industriekomplexes entdecken konnte.
Die Fundplätze sind an anderer Stelle detailliert beschrieben worden. Die bis dahin von Archäologen durchgeführten Strukturaufiiahmen, wobei wie in gemäßigten Klimagebieten üblich und richtig, das gesamte Artefaktenmaterial quadratmeter- oder viertelquadratmeterweise eingemessen und auf ein Messblatt übertragen wird, halte ich bei Oberflächenfundplätzen im WüstenkJima für überflüssig und falsch.
Nach der Lage des Inventars können in Abu Tartur und in der gesamten westlichen Wüste Ägyptens vier Typen von Fundplätzen unterschieden werden.
1.) Fundplätze, auf denen das Inventar ungeschützt an der Oberfläche liegt.
2.) Fundplätze, auf denen das Inventar im Lockersediment nahe der Oberfläche vorkommt. Solche Plätze sind teilweise durch ihre Lage gegen Winderosion geschützt, oder aber die äolische und/oder fluviolimnische Sedimentation hält der Deflation die Waage.
3.) In-situ-Fundplätze, bei denen das Inventar fest in mehr oder weniger verhärtete Sedimente eingeschlossen worden ist, es kann in größerer Tiefe liegen, an der Oberfläche aber noch fest eingebettet, oder auch in Yardangs oberhalb des allgemeinen sie umgebenden Niveaus.
4.) Fundplätze, die Mischformen von 1.), 2.) und 3.) bilden. Die durchgeführten Strukturaufnahmen können bei Oberflächen- Fundplätzen nur dann einen Sinn ergeben, wenn man sicher sein kann, dass das Inventar eines Fundplatzes sich noch annähernd in seiner ursprünglichen Situation befindet. Sie sollen doch wohl nach allgemeinem Verständnis so etwas wie eine Momentaufnahme aus dem Leben der zu erforschenden Zivilisationsgruppe sein. Schon geringe Verschiebungen können da zu schwerwiegenden Irrtümern fuhren. Zu Verschiebungen aber muss es logischerweise immer kommen, sei es durch natürliche oder kulturelle Phänomene.
Material wird bewegt bei:
Ein Platz wird von seiner Population nie in seinem Normalzustand verlassen. Das Inventar besteht in jedem Fall aus zurückgelassenem Material, dieses wechselt mit dem Grund für die Aufgabe des Platzes. Die Aufgabe einer Siedlung kann mannigfaltige Gründe haben als da sind Nahrungs- u. Wassermangel, Krieg, Krankheit, religiöse Grunde und andere. In der folgenden Betrachtung soll nun etwas näher auf die Wirkung des Windes eingegangen werden, diese ist messbar und mit Zahlen belegbar. Bedingt durch die Morphologie des geographischen Raumes und das Fehlen jeglicher Vegetation, werden Luftbewegungen nicht gebremst, was zur Folge hat, dass es in dem Wüstengebiet von Abu Tartur häufig recht windig sein kann.
Folgende Tabelle zeigt die Häufigkeit und Richtung des Windes.
Windrichtung | Prozent |
Wind aus N | 41,7 % |
Wind aus NO | 12,7 % |
Wind aus O | 1,6 % |
Wind aus SO | 0,6 % |
Wind aus S | 0,9 % |
Wind aus SW | 0,7 % |
Wind aus W | 1,2 % |
Wind aus NW | 7,7 % |
Windstille | 32,9 % |
Vereinfacht kann gesagt werden, dass von drei Tagen an zweien der Wind aus nördlichen Richtungen weht, an einem herrscht Windstille. Umfangreiche Messungen hinsichtlich der Windstärke liegen leider nicht vor. Geschwindigkeiten von 70 km/Std sind aber schon beobachtet worden.
Der langfristige mittlere Niederschlagswert für die Oase Kharga beträgt 1,2 mm pro Jahr. Jedoch waren in den letzten 35 Jahren 22 Jahre ohne jeglichen Niederschlag.
In Dakhla, mit einem langjährigen Mitte] von nur 0,3 mm pro Jahr waren von den letzten 30 Jahren 25 ohne Regen. Andererseits fielen in Kharga in vier aufeinander folgenden Jahren 21 mm Regen (1943 - 1946), in Dakhla 9 mm in sechs Jahren (1940 - 1945) nach DUBIEF 1971.
Jede rezente Abtragung kann folglich hauptsächlich auf das Wirken des Windes bezogen werden.
Die Stationen, welche es erlauben sollten die Bewegung von Artefakten und anderem Material durch Wind zu messen, sind auf vorgeschichtlichen Fundplätzen eingerichtet worden. Dabei ist darauf geachtet worden, dass der Untergrund jeweils unterschiedliche Charakteristika aufwies. Die Rauhigkeit der Fläche und damit der Reibungswert, welcher dem Windschub entgegenwirkt, beeinflussen in starken Maß das Resultat. Die Versuchsanordnung ist denkbar einfach.
In den Boden des Fundplatzes werden an geeignet erscheinender Stelle im Abstand von einem Meter zwei Meßpunkte, Ml und M2, bestehend jeweils aus einem 12 mm Rundstahl von rund 400 mm Länge, soweit in den Boden eingeschlagen, dass noch 100 mm sichtbar sind. Da die Hauptwindrichtung Norden ist, sollten die Meßpunkte westlich bzw. östlich voneinander liegen. Nach Süden, ebenfalls im Abstand von einem Meter, wird ein Kontrollpunkt K auf die gleiche Art angebracht.
Auf die Grundlinie des durch die Punkte Ml, M2 und K definierten gleichschenkeligen Dreiecks werden im Abstand von 100 mm Artefakte gelegt und genau eingemessen. Diese Artefakte oder auch anderes Fundmaterial sollten nach Form, Färbung und Gewicht möglichst sehr unterschiedlich ausgewählt werden.
Vier solcher Versuchsanordnungen sind aufgebaut worden, jeweils zwei auf dem Fundplatz 0009/83 und dem Fundplatz 1067/85.
Fundplatz 0009/83 befindet sich auf dem Kalksteinplateau auf einer Höhe von 542 m über dem Meeresspiegel. Er liegt in einer mit terra rossa gefüllten Senke.
Nach Osten schließt sich eine Hügelkette bestehend aus Kalkstein an, welche die Senke bis zu zehn Metern überragt. Langgestreckte, von Windschliff überformte, flache Hügel bilden die Begrenzung nach Süden und Norden. Das Gelände nach Westen ist offen. Dort schließt sich der Fundplatz 0010/83, abgegrenzt durch anstehenden Kalkstein, an. Ein Wadi, oder besser eine trockene Regenrinne, führt von der Nordostecke in die Mulde. Die Ausdehnung beträgt von Norden nach Süden 145 m, von Westen nach Osten 95 m.
Der zentrale Bereich des Fundplatzes ist völlig ausgeblasen, so dass eine glatte, windgeformte terra rossa- Oberfläche freiliegt. Sie wird durchzogen von Nord- Süd orientierten Streifen von grobem Lockersediment, in welchem sich einige Artefakte gefangen haben. Der westliche Rand sowie die Südspitze sind von kalkigem Lockersediment, meist feinkörnig aber auch mit Stücken durchsetzt, bedeckt. Hauptsächlich im südwestlichen Bereich steht stellenweise eine Kulturschicht an. Sie ist künstlich durch Schwerlastwagen während der geologischen Erkundung des Plateaus aufgewühlt worden. Zwei Bohrlöcher liegen im Bereich des Fundplatzes.
Windschubmessung Versuch 1 0009/83
Windschubmessung Versuch II 0009/83
Der Fundplatz 1067/85 liegt in der Sandsteinebene 203 Meter über den Meeresspiegel. Eine flache Mulde befindet sich westlich des Kilometersteins 45 der Teerstraße von Abu Tartur nach Kharga. Im Westen wird die Begrenzung durch eine aufgegebene Piste und die Telefonleitung des Bergbauprojektes gebildet. Das umgebende Gelände ist flach und nur selten durchbricht eine Gesteinsfläche oder ein Sandsteinbuckel die dichte Flugsandschicht. Überall, besonders aber im Zentrum der Mulde, haben Restböden der Erosion standgehalten. Ein guter Anschnitt ist, bedingt durch Bauarbeiten, in der Nähe der Straße zu beobachten, dort liegt eine meterdicke Bodenschicht auf nubischem Sandstein. Die Ausdehnung der Senke beträgt von Norden nach Süden 170 m und von Westen nach Osten 250 m. Die Mulde weist drei kleine Konzentrationen von Artefakten auf, wobei die östliche mit dreizehn Feuerstellen den geschlossensten Eindruck macht. Oberflächenmaterial ist selten, auffallend ist die Häufigkeit von Quarz.
Zwar sind die aus den Konglomeratschichten der Nubiaserie stammenden Kiesel häufig zerschlagen aber nie weiter bearbeitet. Beide Messstationen sind im Zentrum der Mulde aufgebaut worden.
Windschubmessung Versuch III 1067/85
Windschubmessung Versuch IV 1067/85
Folgende Verschiebungen sind gemessen worden (in mm) :
Versuch I | Versuch II | Versuch III | Versuch IV |
0.1-35 | 1.1-30 | 2.1-- | 3.1-30 |
0.2-95 | 1.2-55 | 2.2-- | 3.2-20 |
0.3-248 | 1.3-60 | 2.3-- | 3.3-20 |
0.4-5 | 1.4-40 | 2.4-- | 3.4-- |
0.5-6 | 1.5-- | 2.5-30 | 3.5-1770 |
0.6-270 | 1.6-10 | 2.6-30 | 3.6-20 |
0.7-480 | 1.7-- | 2.7-20 | 3.7-- |
0.8-1263 | 1.8-50 | 2.8-- | 3.8-20 |
0.9-18 | 1.9-- | 2.9-15 | 3.9-25 |
Versuch I (Dauer rund 22 Monate)
Versuch II
Versuch III (Dauer rund 14 Monate)
Versuch IV (Dauer rund 14 Monate)
Der Durchschnitt für alle 36 Versuchsobjekte beträgt 7,335 mm pro Monat oder rund 9 cm im Jahr.
Zusätzlich zu diesen rechnerisch statistisch ermittelten Zahlen muss die Windsichtung nach Korngrößen beachtet werden, da die Variationsbreite der Verschiebungen sehr hoch ist. Es nimmt nicht Wunder, dass trotz der Vielzahl der Ostsahara- Fundplätze, übereinstimmende kumulative Diagramme gleicher Kulturen nach J. Tixier bisher nicht in der Klarheit erstellt werden konnten, wie es für die epipaläolithischen Fundplätze des Maghreb der Fall ist, selbst wenn man davon ausgeht, dass letztere untereinander weniger Variationen kennen und dass neolithische Fundplätze gleicher Kultur von größerer Formenvielfalt sein können.
Neben den vier Langzeitversuchen kann auch noch auf eine interessante, zufällige Beobachtung bei Sturm hingewiesen werden.
Ablauf der Beobachtung : Der gezähnte Rand einer Pfeilspitze (C9 nach der Typologie von HJ. Hugot) ist im umgebenden Lockersediment sichtbar, die Höhe des sichtbaren Teils übersteigt keine 2 mm. Das einschließende Sediment besteht aus einer dünnen Schicht von grobkörnigem Flugsand, darunter liegt staubförmiges Material.
Der Sand an der dem Wind zugewandten Fläche der Pfeilspitze wird durch in Bewegung befindlichen Flugsand mitgerissen.
Das staubförmige Sediment wird muldenförmig ausgeblasen. Bis dahin ist keine Bewegung des Artefakts zu erkennen.
Die Spitze fliegt ruckartig weg. Nach ungefähr 500 mm fällt sie zu Boden und gleitet auf dem Sand, Längsachse in Windrichtung, weiter. Nach 2150 mm von der Ausgangsposition kommt die Pfeilspitze vor einem Bruchstück eines Reibsteins zum Stillstand.
Bemerkung : Die Position des Beobachters befand sich 1000 mm östlich des Artefakts, damit die Luftwirbel, welche sich im Bereich der Füße bilden, keinen Einfluss auf den Vorgang nehmen konnten. Dauer der Beobachtung : 12 Minuten (Skizze Nr. 5)
Während die Versuche I bis IV Bewegungen von Artefakten an der Oberfläche behandeln und damit für den Typus 1 der Fundplätze gelten, bezieht sich die Kurzzeitbeobachtung schon auf den zweiten Typus, bei dem das Inventar durch Lockersediment geschützt ist. Aber auch bei Fundplätzen vom Typus 3, verfestigten Sedimenten, können Überraschungen nicht immer ausgeschlossen werden. Häufig liegen Siedlungszonen wie die Fundplätze 1023/82, 1045/84, 1052/85, 1072/86 und andere am Nordrand ehemaliger Seen, die auch heute über die noch existierenden Wadisysteme als Sammelbecken für eventuelle Niederschläge, die meistens als starke, lokal begrenzte Schauer niedergehen, dienen. Die auf den Seeböden nach Einsickern und Verdunstung entstehenden Trockenrisse können bis zu 50 mm breit sein, stellenweise reichen sie bis zu 400 mm in die Tiefe. Der nimmermüde Nordwind weht nun über diese Flächen und transportiert dabei Staub, Sand und falls am Ufer vorhanden, auch Artefakte. Die Trockenrisse bilden eine ideale Fallenstruktur und füllen sich mit der Zeit. Es kann so zur Bildung von Pseudo- in situ- Plätzen kommen. Diese fallen dann bedingt durch die äolische Selektion nach Granolometrie vor allem durch einen hohen Anteil an Mikrolithen auf. Beobachtungen in dieser Richtung konnten hauptsächlich südsüdwestlich von 1023/82 gemacht werden.
Es kann für den Raum Abu Tartur gesagt werden, dass alle oder fast alle Fundplätze einer gewissen Dynamik, sei es bei ihrer Entstehung oder sei es danach, unterlagen und noch unterliegen. Dieses gilt aber auch weitestgehend für nahezu sämtliche prähistorischen Fundstellen der Sahara.Eine Vielzahl der Fundplätze gehört aber auch dem Typus 4, also dem Mischtypus an, d.h. einige Teile des jeweiligen Komplexes sind mehr oder weniger überdeckt als andere und weisen daher unterschiedliche Stufen der Erhaltung auf. So konnte z.B. 40 m nordnordöstlich der Versuchsanordnung II auf einem Viertelquadrat ein Kern mit sechs anpassenden Klingen und einem anpassbaren Abschlag gefunden werden, außerdem weitere sieben zum Material passende Klingen und Abschläge, welche nicht anpassbar waren, und das obwohl der Gesamtfundplatz stark gestört ist. Solche lokalen Konzentrationen sollten im Hinblick auf die Struktur nicht überwertet werden.
Dreizehn Jahre nach Abbruch der Versuche in Abu Tartur erhielt der Verfasser die Gelegenheit im Rahmen des ACACIA Projekts der Universität zu Köln in die westliche Wüste zurückzukehren. Da auch einige Fundstellen in dieser Gegend angesteuert wurden, lag es nahe, die alten Versuchsanordnungen aufzusuchen und Messungen, welche 1987 eingestellt worden waren, erneut vorzunehmen.Die Anordnungen auf dem Plateau, Versuch I und Versuch II, waren unangetastet geblieben. Die in der Nähe der Stichstraße zum Grubenkomplex angelegten Versuchsanordnungen III und IV waren leider den Bauarbeiten an Eisenbahn, Hochspannungsleitungen, Wasserleitungen und anderen Aktivitäten zum Opfer gefallen und nicht mehr auffindbar. Die weiterführenden Messungen beschränkten sich daher auf die Versuche I und II.
Windschubmessung Versuch I 0009/83
Windschubmessung Versuch II 0009/83
Folgende Verschiebungen sind gemessen worden (in mm)
Versuch I | Versuch II | ||||||
Artefakte | Verschiebungen bis 1987 | Verschiebungen bis 2000 | Differenz | Artefakte | Verschiebungen bis 1987 | Verschiebungen bis 2000 | Differenz |
0.1 | 35 | 15 | -20 | 1.1 | 30 | 30 | - |
0.2 | 95 | 450 | +355 | 1.2 | 55 | 55 | - |
0.3 | 248 | 520 | +272 | 1.3 | 60 | 100 | +40 |
0.4 | 5 | 35 | +30 | 1.4 | 40 | 40 | - |
0.5 | 6 | 20 | +14 | 1.5 | - | - | - |
0.6 | 270 | 2950 | +2680 | 1.6 | 10 | 15 | +5 |
0.7 | 480 | 10000 | +9520 | 1.7 | - | - | - |
0.8 | 1263 | 10000 | +8737 | 1.8 | 50 | 50 | - |
0.9 | 18 | 20 | +2 | 1.9 | - | 340 | +340 |
Total | 2420 | 24010 | +21590 | Total | 245 | 630 | +385 |
Versuch I
Versuch II
Aus den Ergebnissen lässt sich schließen : Bei glattem Untergrund verläuft die Kurve der Summe aller Verschiebungen leicht progressiv bis nahezu linear falls die Ungenauigkeit, die durch das Festsetzen der 10 m- Marke für zwei Artefakte berücksichtigt wird.
Bei rauem Untergrund stabilisiert sich die Situation, die Bewegungskurve ist degressiv wenn man die Gesamtheit der dem Versuch unterworfen Artefakte berücksichtigt. Betrachtet man aber die Individuen, so wird klar, dass neben einer generellen Bewegung auch eine Sichtung stattfindet und diese sowohl im Falle eines rauen Untergrundes als auch bei einer glatten Oberfläche.
Die 1987 nach Beendigung der ersten Phase der Messungen gezogenen Schlussfolgerungen sind somit durch die Langzeitbeobachtungen bestätigt worden.
Windexponierte Oberflächenfundplätze im ariden Klimabereich verändern ihre Strukturen dergestalt, dass detaillierte Strukturaufnahmen keinerlei Aussagen über die Kultur der zu erforschenden Gruppe erlauben.
* Hier einfügen: 1. Lageskizze Abu Tartur 2. Scan Versuch I 3. Scan Versuch II 4. Scan Versuch III 5. Scan Versuch IV 6. Scan Skizze Nr. 5 7. Foto Playa West und Foto Playa Renate